Mittlerweile entscheiden sich viele Menschen in Deutschland dafür, einen Tierschutzhund aus dem Ausland aufzunehmen und ihm so das Leben zu retten. Aber was macht einen ehemaligen Streuner aus?
Jeder Straßenhund hat seine eigene Vorgeschichte, so dass Aussagen über sein Wesen pauschal nicht so einfach zu machen sind. Fest steht vor allem eins: Hunde, die direkt aus dem Ausland übernommen werden, sind absolute Überraschungseier. Entsprechend sollte man als Mensch keine allzu konkreten Vorstellungen vom Hund haben, flexibel sein und sich zutrauen, mit verschiedenen Problemen klar zu kommen. Bei konkreteren Vorstellungen bietet sich die Übernahme des Hundes aus einer Pflegestelle an, mit denen viele Tierschutzorganisationen zusammen arbeiten. In dem Fall weiß man bereits, wie der Hund in Deutschland in einer Familie zurecht kommt und kann sehr viel mehr Angaben zum Charakter und zu den Bedürfnissen des Hundes machen.
Erwachsene Hunde aus dem Auslandstierschutz haben bereits eine Geschichte, einen Packen an Erfahrungen und prägenden Erlebnissen, den sie mitbringen. So müssen Straßenhunde z.B. zwangsläufig lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und jede Gelegenheit an Futter zu kommen wahrzunehmen. Viele Hunde haben zudem erfahren, dass einiges eine potentielle Gefahr für sie darstellt. Vielleicht ein Mann mit einem Spazierstock in der Hand oder Kinder im Grundschulalter.
Auf der anderen Seite gibt es auch eine Menge Dinge, die Straßenhunde eben nicht kennen. Dazu kann z.B. Stubenreinheit gehören, das Laufen an der Leine, das Leben im Haus, Mitfahren in Bahn und Auto oder belebte Innenstädte. Alles was Alltag in der Wohnung ist, ist für Straßenhunde neu: der Staubsauger, der Fernsehkrimi, das Töpfeklappern… dazu die ungewohnte Enge ohne wirkliche Rückzugsmöglichkeit. Wie ein Hund damit umgeht, ist ganz unterschiedlich. Einige sind sehr anpassungsfähig und reagieren gelassen auf alles Neue. Andere sind schnell gestresst oder ängstlich und brauchen so sehr viel länger (und jede Menge Geduld und Einfühlungsvermögen Seitens ihres Besitzers), bis sie wirklich „angekommen“ sind.
In jedem Fall muss man sich bewusst sein, dass eine ganze Menge Arbeit auf einen zukommen kann (nicht muss, aber kann), bis man einen gelassenen, zuverlässigen Alltagsbegleiter an seiner Seite hat.
Die Lebenswege von Straßenhunden sind dabei sehr unterschiedlich. Manche Hunde sind schon auf der Straße geboren worden oder als junge Welpen ausgesetzt worden. Andere dienten als junger Hund als Kinderspielzeug, bis ihr Besitzer das Interesse an ihnen verlor. Auch aussortierte Jagdhunde, überflüssig gewordene Wachhunde oder schlicht entlaufene Hunde finden sich auf der Straße wieder. Damit ist der Erfahrungsschatz und die Prägung auf den Menschen sehr verschieden.
Hunde, die eine Zeit lang auf der Straße gelebt haben, handeln gezwungenermaßen selbständig. Sie kümmern sich selbst um Probleme, entscheiden frei über ihre Sozialkontakte, organisieren sich Futter und unterteilen sich den Tag frei in Ruhephasen, Sozialphasen und Phasen der Reviererkundung und Futtersuche. Niemand schreibt ihnen etwas vor, niemand füllt Punkt 6 Uhr ihren Futternapf, beschützt sie bei Gefahr oder bestimmt mittels Leine, wo sie wann lang gehen sollen. Die Umstellung auf ein neues Zuhause in Deutschland bringt damit zwar ein großes Plus an Bequemlichkeit und Sicherheit, aber auch sehr viele Beschränkungen. In Deutschland in einer Familie aufgewachsene Hunde kennen es nicht anders, fordern mehr oder weniger deutlich ihre Privilegien ein und bleiben oftmals gerne „kindlich“ verspielt in ihrem geregelten Tagesablauf. Ehemalige Straßenhunde sind oft sehr viel ernster, distanzierter, spielen nicht mit Menschen und haben sehr eigene Vorstellungen davon, was sie wann machen möchten. Die Umstellung auf den ehemaligen Streuner ist so oft auch für die neuen Besitzer nicht ganz einfach.
Man sagt Straßenhunden eine sehr gute Sozialisierung mit anderen Hunden nach. Oftmals stimmt dies auch in dem Sinne, dass sie die „Hundesprache“ gut beherrschen, also andere Hunde problemlos deuten können und angemessen darauf reagieren. Außerdem sind Hunde soziale Wesen, fehlt der Sozialpartner Mensch, gewinnt der Sozialpartner Hund automatisch an Bedeutung. Allerdings leben Straßenhunde meist in festen Gebieten und damit mit vertrauten anderen Hunden und deren Nachwuchs zusammen. Streit wird eher vermieden, kostet es doch Energie und kann zu Verletzungen führen. Beides kann sich ein Straßenhund nicht leisten. Dennoch sind andere Hunde auch Konkurrenten um Nahrung, sichere Schlafplätze und um Sexualpartner.
Viele Hunde aus dem Auslandstierschutz haben schon schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht. Sofern daneben auch positive Erfahrungen mit Menschen gesammelt werden durften, entwickeln diese Hunde meist nur Angst/Abneigungen gegen bestimmte Menschentypen. Häufig sind dies Männer, teils nur bestimmte, teils Männer im Allgemeinen. Noch weniger schön ist es, wenn der Hund schlechte Erfahrungen mit Kindern gesammelt hat, zumal, wenn man in einer Kinderreichen Gegend wohnt. Solche Ängste aus dem Hund herauszubekommen, ist meist sehr aufwändig und erfordert viel Hundeverstand.
Fast noch schlimmer als schlechte Erfahrungen mit Menschen, sind zu wenig Erfahrungen mit Menschen. Vor allem die frühe Prägung spielt hier eine wichtige Rolle: Konnte der Hund als Welpe/Junghund Kontakt zum Menschen aufnehmen? Nimmt er den Menschen als möglichen Sozialpartner wahr? Wenn dies nicht der Fall ist, wird zwar eine Gewöhnung an bestimmte Menschen noch möglich sein, aber oft bleiben diese Hunde allen fremden Menschen gegenüber extrem scheu. Zudem wird Spiel und „kuscheln“ oft auch mit vertrauten Menschen kaum zugelassen. Der Hund bleibt im Zweifelsfall immer passiv und unterwürfig.
Südeuropäische Hunde haben häufig Kontakt zu Touristen und durch diese bessere Nahrungsquellen, was mehr Hunde an einem Fleck erlaubt. Das wiederum führt zu einer tendentiell freundlicheren Einstellung (bestimmten) Menschen und auch anderen Hunden gegenüber. Osteuropäische Straßenhunde sind tendentiell eher scheuer und weniger verträglich. Zudem werden südliche Touristengebiete regelmäßig radikal von Hunden „gesäubert“, so dass die Hunde dort oft nicht älter als 1-2 Jahre werden, ein Alter, in dem Hunde naturgemäß noch relativ verspielt und aufgeschlossen sind.
In der Regel sind unsichere Hunde aus dem Ausland allerdings nicht aggressiv, sondern neigen in den sie ängstigenden Situationen eher zu Deeskalation und Flucht. Dies ist auf der einen Seite durchaus „natürliche Auslese“: Aggressive streunende Hunde werden weniger geduldet, entweder vertrieben (was den Zugang zu Nahrung erschwert) oder umgebracht. Auf der anderen Seite lebt der Auslandstierschutz, der Hunde nach Deutschland vermittelt, zu einem guten Teil von seinem Ruf, absolut friedliche, nette Hunde zu vermitteln. Entsprechend werden Kandidaten, die dem nicht entsprechen, in aller Regel nicht nach Deutschland gebracht.
Ein großes Thema bei Auslandshunden aus dem Süden ist der Jagdtrieb. Wenn der Hund in einer Gesellschaft wenig Wert ist, wird er in der Regel deshalb gehalten, weil er einen Nutzen bringt. Also z.B. etwas bewacht oder etwas jagt. Zum bewachen reicht dabei oftmals das bloße Vorhandensein des Hundes an einer Kette. Da die Ansprüche an den Hund nicht groß sind und unkontrollierte Vermehrung durch die Art der Haltung behindert ist, wird wenig „Ausschuss“ produziert. Entsprechend findet man, außer bei Herdenschutz (-Mixen) meist keinen ausgeprägten Wachtrieb bei Streunern aus dem Süden. Ganz anders bei den Jagdhunden: Diese werden durchaus vermehrt und nach Leistungsfähigkeit aussortiert. Das kann heißen, getötet, ausgesetzt oder die Hunde haben sich während der Jagd selbständig gemacht, um eine Zeitlang auf der Straße zu leben und/oder sich von Tierschützern einsammeln zu lassen. So steckt in vielen südlichen Tierschutz-Hunden ein recht starker Jagdtrieb. Diese Grundveranlagung zusammen mit der Tatsache, dass viele der Hunde sich tatsächlich eine Zeitlang selbst ernähren mussten, bzw. sehr viel Eigenständigkeit mitbringen oder sogar zur Jagd eingesetzt wurden, lässt ein Ableinen in wildreicher Gegend in Deutschland kaum zu. Entsprechend sollte man sich vor der Aufnahme eines „Straßenhundes“ aus dem Süden fragen, ob man damit leben könnte, den Hund unter Umständen im Wald nie frei laufen zu lassen.
Bei Straßenhunden aus Südosteuropa spielt der Jagdtrieb dagegen oft eine geringere Rolle, dafür ist der Herdenschutzhund-Anteil größer. Entsprechend muss mit mehr Territorialtrieb gerechnet werden, auch mit selbstbewussterem „Beschützen“, ob erwünscht oder nicht, wenn dem Hund etwas nicht geheuer ist.
Tatsächlich leben Straßenhunde in erster Linie von Abfällen und Kadavern. Die wenigsten Hunde sind so gute Jäger, dass sie davon überleben könnten, wenngleich Mäuse und Co immer willkommen sind. Jede Hetzjagd kostet dagegen Energie, die dringend zum überleben benötigt wird. So sieht man z.B. auch kaum einen Straßenhund, der einer Katze hinterher rennt. Hunde, die derart kopflos handeln, überleben nicht lange. Wohl aber lernt ein Straßenhund sehr gut zu unterscheiden, was sich zu jagen lohnt und was nicht. Womit auch erklärt wäre, dass er zwar das unvorsichtige Kaninchen blitzschnell fängt und tötet, den geworfenen Tennisball aber keines Blickes würdigt. Um den Ex-Streuner zum „mitspielen“ zu überreden, kann eventuell ein Futterdummy hilfreich sein.
Ein weiteres großes Thema bei ehemaligen Straßenhunden ist Futter: Müll vom Boden fressen, Essen vom Tisch klauen und dieses auch durchaus vehement verteidigen. Dies ist völlig normales Hundeverhalten, das unseren Haushunden in Deutschland allerdings von Welpenbeinen an versucht wird abzugewöhnen. Einem Straßenhund hat genau dieses Verhalten aber das Überleben gesichert, entsprechend schwierig ist es aus dem Hund heraus zu bekommen. Vor allem in der Anfangszeit hilft nur Folgendes: die Küche ist tabu (bei Abwesenheit Tür schließen) und es liegt nichts Fressbares in der Wohnung herum. Hilfreich ist auch eine strikte Trennung von Menschen- und Hundeessen. Es gibt nichts vom Tisch und der Hund bekommt keine Gelegenheit, sich selbst zu bedienen.